[Interview für den WIENER341]
Ibrahim „Ibo“ Evsan zählt zu den führenden Köpfen in der Entwicklung von Social Media und Video-on-Demand-Anwendungen. Er ist Gründer der Videoplattform sevenload, dem erfolgreichsten deutschen Start-Up. Sein aktuelles Buch „Der Fixierungscode“ behandelt u.a. die Themen digitale Evolution, Online-Reputation und digitale Supermächte
Sie warnen in Ihrem Buch vor digitalen Supermächten. Wo sehen Sie die Gefahren?
Wir dürfen nie vergessen, dass Google, Facebook etc. einfach Firmen sind, die profitorientiert denken müssen. Diese Firmen bekommen derzeit alles Wissen über die Menschen: Der Stream meines Lebens, mein „Lifestream“, fließt dort ein. Es gibt aber keinerlei global greifende gesetzliche Regelung, wie weit eine solche Firma dabei gehen darf. In Deutschland schon. In Deutschland dürfen wir nicht so ohne weiteres alles abfragen und speichern, aber das Internet ist international. Wenn ich Facebook nutze, habe ich nicht das Gefühl, dass es amerikanisch ist. Auch wenn ich an Google denke, denke ich ja nicht daran, dass das ein groß gewordenes US-Unternehmen ist. Google ist für mich einfach eine Suchmaschine. Aber man sollte wissen, dass jede Abfrage gespeichert wird. Da stellt sich natürlich die Frage, was in der Zukunft im „Semantic Web“ alles machbar wird: Wie kann man das perfekte Profil eines Menschen erstellen, um ihm dann perfekte Werbung zu verkaufen? Ich denke, dass die Datenschützer das in Europa verhindern werden, aber amerikanische Firmen machen da nicht mit. Die sagen: „Na dann sperrt mich doch einfach! Dann gibt es eben kein Google, kein Bing etc. in Österreich.“ Aber das wäre etwa für Österreich eine Katastrophe. Das Land würde zurück in die Zeit vor 1999 versetzt. Wie China.
Es geht ja nicht nur um Werbekunden, auch Dienste wie die CIA haben Interesse an unseren Daten…
Die Amerikaner haben unsere Daten längst. Gleich nach 9/11 hat Bush den Patriot Act durchgesetzt. Den hat zwar niemand richtig gelesen, aber er besagt, dass sich die CIA auf allen Servern der Welt bedienen kann. Das können sie deshalb, weil die Schaltzentralen des Internets alle in Amerika sind, sodass die Amerikaner Zugriff haben auf alle unsere Daten, auf unser Kulturgut, auf die Menschen. Wir Europäer können im Moment nichts dagegen tun, denn wir haben diese Entwicklung verschlafen und nicht rechtzeitig investiert: Das Internet gehört schlicht den USA.
Wir haben also keinerlei Handhabe gegen digitale Supermächte?
Richtig. Wir sitzen in der Scheiße. Deshalb darf Datenschutz nicht länger lokal, sondern muss global betrieben werden! Es braucht einen G8-Gipfel für Datenschutz. Es müssen sich alle Länder beteiligen und ein zentrales Recht herstellen – für Pressefreiheit, für Internetfreiheit, für Datenschutz. Das Internet macht lokale Lösungen unhaltbar. Aber unsere Politiker glauben immer noch, sie können das allein zu Hause regeln.
Zum Beispiel mittels Netzsperren…
Netzsperren sind reine Idiotie von Politikern, die überhaupt keine Ahnung vom Internet haben. Zensur hatten wir in Europa schon und das wollen wir nicht noch einmal erleben. Wenn man Zensur einmal zulässt, dann geht es damit immer weiter, immer tiefer. Was ist dann der nächste Schritt? Ballerspiele? Wir haben sechs Millionen Ballerspieler in Deutschland. Wie viele Seiten sperrt man? Eine oder Zehntausende? Da hätte ich gerne einmal eine Antwort darauf!
Es heißt, der Bürger muss den Staat kontrollieren, nicht umgekehrt. Ist es rechtlich überhaupt vertretbar, dass der Staat unsere Daten sammelt?
Er muss ja! Denn es gibt ein Ungleichgewicht: Die USA tun es längst. Wenn es auch keine Atomkriege mehr gibt, kann es in der Zukunft Informationskriege geben. Hier stellt sich die Frage nach der globalen digitalen Selbstbestimmung. Ein Mensch muss sagen können: „Ich will nicht, dass meine Daten gespeichert werden.“ Das wird ein sehr langer Weg.
Sind Daten das neue Öl?
Definitiv.