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Zuerst Begriffsdefinition.

Rübe (f): ein Kind, das einem auf der Nase herumtanzt. Wird mit unbestimmtem Artikel verwendet, z.B. „Manchmal bist du eine richtige Rübe!“. Emotionale Wertung: Eine Rübe ist anstrengend, aber liebenswert. Spielt auf den gespannten Nervensträngen ihrer Eltern die Pizzicato-Polka. Das strapaziert diese Nervenstränge zwar ungemein, klingt dabei aber charmant. Man will zwar, kann der Rübe aber nicht so recht bös sein… Elterlicher Auszuckfaktor (auf der 10teiligen Scala): 5

Besen (m): Steigerungsform von Rübe. Hardcore. Ebenfalls unbestimmter Artikel – oder gar keiner: „Du Besn!“ Statt der Pizzicato-Polka wird atonaler DJ-Ötzi auf den Nervensträngen gezupft. Gar nicht charmant. Elterlicher Auszuckfaktor (auf der 10teiligen Scala): 12.

Wer Kinder hat, hat immer wieder auch Besen und Rüben zuhause. Aber sie heißen wohl nicht überall so. Manche Familien haben Bengel, Frechdachse oder – sehr gängig – Lauser statt Rüben. Was man gemeinhin statt Besen hat, weiß ich gar nicht… in Wien vermutlich Gfrastsackl.

Dass sich bei uns hingegen die eingangs erwähnten Bezeichnungen durchgesetzt haben, verdanken wir Martina. Martina war die Tagesmutter, zunächst von #kind1, dann von #kind2. Und mehr als einmal hat sie uns den werten Nachwuchs mit den Worten übergeben: „Sie war heute eine Rübe, aber wir haben uns zamg’rauft.“

Dass Tagesmütter einen großen Einfluss auf die sprachliche Entwicklung haben, ist ja bekannt: Das Kind ist meist genau in jener Phase dort, in der Spracherwerb stattfindet. Somit logisch. Weniger bekannt ist wohl, wie sehr Tagesmütter die Sprachentwicklung von Jungeltern beeinflussen. Man hat als Erziehungs-Rookie ja noch gar nicht das ganze Vokabular intus, das man bräuchte, um die plötzlich hereinbrechenden Erfahrungen zu artikulieren. Man ist froh, wenn es sprachliche Angebote gibt, übernimmt sie gerne, nein mehr: saugt sie begierig auf…

Martina hat also die Rüben und Besen eingebracht und damit unserem (noch frischen) Leben mit Kindern nachhaltig einen Sprachstempel verpasst. Davon, dass ein Brioche noch heute – Jahre später – bei uns „Martina-Weckerl“ heißt (weil es selbiges dort immer zur Jause gab), dass der Spielplatz im Rabenhof unweigerlich der „Martina-Spielplatz“ ist etc., fang ich jetzt erst gar nicht an…

Wenn wir es einmal schaffen, wirklich alle gemeinsam um den Tisch zu sitzen (was selten genug vorkommt), sagen wir immer noch im Chor den Pre-Essens-Spruch auf, den wir von Martina übernommen haben. Nein, ist kein Tischgebet. Das wäre bei dem kulturellen Mischmasch an Tages-Kindern gar nicht möglich gewesen. Aber ist ein gemeinsames Ritual und – der Clou – das Essen kühlt inzwischen auf kindertaugliche Temperatur ab. Tagesmütter sind schlau!

Am 29. November ist Martina gestorben. Sie war gerade mal 52 Jahre alt und hinterlässt selber zwei, inzwischen erwachsene, Töchter. Ich habe lange überlegt, ob ich etwas schreiben soll, weil dieses Jahr war so ein trauriges, von Verlusten geprägtes, dass man irgendwann nicht mehr will und kann. Ich denke auch, es steht mir in keinster Weise zu, hier einen Nachruf zu verfassen, das wäre ganz unpassend, war letztenendes nicht diese Art von Beziehung.

Aber zumindest gehört gesagt: Ich habe niemanden gekannt, der so unbezwingbar war, der so wacker der Krankheit den Mittelfinger gezeigt hat, so konsequent darin, sich nicht „von sowas Blödem“ ihr Leben und ihre Vorhaben verpfuschen zu lassen. Und das, soweit ich weiß,  rund 16 Jahre lang.

Ich weiß nicht, ob die Kinder ihren Kampfgeist mitbekommen haben. Aber wir Eltern schon. Und gemeinsam mit den Rüben, den Besen, den Martina-Weckerln – und vielen anderen Mini-Knötchen aus Sprache und Tat – wurde daraus eine Struktur gewebt, die heute natürlicher Bestandteil unser aller Leben ist. Und so war ich auch gestern, nachdem ich die Parte gelesen hatte, wie selbstverständlich beim Zielpunkt Martina-Weckerln kaufen. Für die Rüben zuhause.

Ich könnte mir nicht vorstellen, einmal etwas anderes zu tun.

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