Der Zoologe neben mir hat Glück, dass ich erst nach 13 Stunden Flug draufkomme, dass er einer ist. So kann ich ihn nur noch eine halbe Stunde lang ausfratscheln. Immer wieder lässt er Sätze wie „Heute ist mein freier Tag“ oder „Ich bin ja gerade außer Dienst“ unauffällig in die Konversation einfließen. Aber als Wienerin habe ich meinen Falco brav studiert und denke „Du bist durchschaut. Augen sagen mehr als Worte. DU WILLST UM 5 UHR FRÜH ÜBER PINGUINE REDEN, GIB’S ZU!“
Tatsache ist, der gute Mann ist nicht zufällig im selben Flug. Er sitzt nur – das Glück is ein Polarvogerl! – zufällig neben mir.
Morgen wird er mit nach Ushuaia fliegen und an Board unseres Schiffes gehen, weil er die zoologischen Vorträge hält und den Antarktis-Newbies bei der Pinguin-Pirsch zur Seite steht. Das macht er seit 19 Jahren.
1996 war er das erste Mal in der Antarktis. Damals hat ihn das Polarfieber gepackt und bis heute nicht mehr losgelassen. Fast jedes Jahr begleitet er seither ein Schiff, aber natürlich nicht jedes Schiff. „Ist nur ein Nebenjob“, sagt er. Es klingt ein bisserl bedauernd.
Die Eismeer-losen Monate im Jahr (sprich: die anderen elf) beschäftigt er sich mit Vögeln. Vor Errichten eines Windparks oder anderer großer Bauvorhaben klärt die Vogellage ab. „Heimische Arten kenn ich alle ziemlich gut“, sagt er bescheiden. Die Pinguine, nicht ganz so heimisch in Deutschland, sind aus Leidenschaft dazu gekommen. Stimmt schon, dass die Evolution da einiges für Salzwasser und Kälte gepimpt hat, aber der Grundbauplan von Vogel und Pinguin ist nach wie vor gleich. Ich sage nur: Knie! (Linktipp: courtesy of P.Draxler)
Ob sich denn in den 19 Jahren viel verändert hat in der Antarktis, will ich wissen.
„Oh ja“, bestätigt er, „Nicht in der Antarktis selber, aber auf der antarktischen Halbinsel und auf Inseln wie Südgeorgien.“
Für alle, die das beim Lesen jetzt nicht so parat haben: Die Antarktis sieht aus wie ein Elefantenkopf. Der Kopf selber, der Kontinent, ist so tief mit Eis bedeckt, dass klimatische Änderungen nicht rasch wirksam werden, aber am Rüssel, sprich: auf der Halbinsel, die sich nach Norden vom Kopf wegstreckt, merkt man es schon. „Die Gletscher sind zurück gegangen. Man sieht noch, wo sie die Felsen in all den Jahren glatt geschliffen haben, aber die Felsen sind freigelegt, nicht mehr von Eis bedeckt. “
Die Tierwelt habe sich trotzdem (noch?) nicht verändert. „Höchstens insofern, dass die Tiere neugieriger geworden sind.“
Das sei übrigens der große Unterschied zum Nordpol. Dadurch, dass der Nordpol immer besiedelt war, haben die Tiere die Schnauze voll von Menschen. „Wenn dich dort eine Robbe nur von weitem sieht, taucht sie sofort ab.“ („Mit gutem Grund!“ denke ich.)
Bei einem Pinguin in der Antarktis sei das anders. Der hat keine schlechten Erfahrungen gemacht. „Der kommt und stellt sich neben dich und schaut. Also klar, wir halten natürlich den Mindestabstand ein. Aber er nicht unbedingt…“
Dennoch sei der Nordpol spannend. Gerade weil er immer besiedelt war, bietet er viel Geschichte: „Die ganze Inuit-Kultur findet man dort.“ Vergleichen will mein Sitznachbar die Pole nicht. „Das ist unmöglich.“
Wir müssen uns wieder anschnallen, die Tische hochklappen, die Sitzlehnen gerade richten. Unter uns ist Buenos Aires. Es hat 34 Grad und die Maschine setzt zum Landeanflug an. Bilde ich mir das ein oder wehen da nonchalant ein paar Takte Tango herbei? Buenos dias Argentina.
Eines will ich aber doch noch wissen: „Werden wir Kaiserpinguine sehen?“ – „Das würde einem Sechser im Lotto gleichkommen“, sagt er. „Nur falls die See es zulässt, dass wir ins Weddell-Meer kommen, haben wir Chancen. Dort hab ich einmal zwei Kaisers auf einer Scholle gesehen.“