[ursprünglich erschienen auf kurier.at, dort auch etwas ausführlicher]
Zwischen zwei Wahlen verliere ich als Bürger jede Macht, etwas zu ändern“, betonte Marina Weisband zu Beginn ihres Vortrags. „Durch die repräsentative Demokratie sind eben nur wenige Menschen tatsächlich in politische Prozesse involviert. Das führt zu einer großen Politikverdrossenheit, vor allem unter den jungen.“
Auf Einladung der Österreichischen Medientage war Weisband, ehemalige Geschäftsführerin und nach wie vor Aushängeschild der deutschen Piratenpartei, in Wien, um über Modelle der Mitbestimmung zu diskutieren. Es ginge ihr nicht um direkte Demokratie, sondern um einen Mittelweg zwischen repräsentativer und direkter. Die Übergänge müssten flexibler werden, so die Piratin.
Online-Elitenbildung
Zwar hätte man Dank des Internets heute ein Forum zur Verfügung, in dem – ähnlich der griechischen Agora – alle Gehör finden könnten, aber: „Man kann nicht die ganze Zeit online sein und über alles abstimmen. Man hat ja auch noch ein Leben außerhalb der Politik!“ Somit würde direkte Demokratie via Online-Votings erst recht wieder zu einer Elitenbildung führen: Ideen würden jene durchsetzen, die es sich leisten könnten, von früh bis spät im Netz zu sein: „Statt einer Machtelite gäbe es eine Zeitelite – und die wäre nicht einmal legitimiert.“
Weisbands Forderung: „Das Beste aus beiden Welten verbinden! Die liquide Demokratie tut genau das: Ich kann meine Stimme direkt nutzen oder sie an einen vertrauenswürdigen Experten delegieren.“ Allerdings: Wer einem anderen seine Stimme gäbe, könne diese jederzeit wieder zurücknehmen, falls sie nicht im gedachten Sinne genutzt wird. „Macht auf (vorab festgelegte) Zeit gibt es in diesem System nicht.“
Basisdemokratie 2.0
Technisch wird diese Form flexibler Bürgerbeteiligung durch eine Software namens „Liquid Feedback“ ermöglicht. Weisband: „Die Anwendungsgebiete dieses Systems sind sehr interesssant. Man kann es – so wie es aktuell in Berlin genutzt wird – für die Meinungsfindung in einer Partei nutzen. Man kann es als direkte Anbindung des Volks an die Legislative nutzen. Oder an Universitäten, um Studierende mitbestimmen zu lassen.“ Auch Schulen könne man via Liquid Feedback demokratisieren, so der Vorschlag Weisbands: „Wir sagen immer, wir wollen Kinder zur Demokratie erziehen, aber in Wahrheit gibt es kein hierarchischeres System als Schulen… Ich halte Liquid Feedback für eine Einstiegsdroge in die Politik.“
Mit dem Programm Liquid Feedback hätten wir erstmals echte mündige Bürger, aber wer will das schon? @Afelia #ömt
— Volker Moser (@aut124) September 26, 2013
Verbindliches Österreich
Lob gab es an dieser Stelle für den österreichischen Ableger der Piratenpartei. In Österreich wird Liquid Feedback verbindlich für Entscheidungen genutzt, in Deutschland derzeit nur unverbindlich. Das würde dazu führen, dass sich in Österreich auch mehr Menschen an den parteipolitischen Prozessen beteiligen, weil sie wissen: Was wir hier entscheiden, hat konkrete Auswirkungen auf das Programm. Weisband: „Die Östereicher sind uns einen Schritt voraus.“
Warum die Basis in Deutschland dann noch ohne Verbindlichkeiten seitens der Parteiführung mitstimmt, hat handfeste Gründe: „Wenn ich ein verbindliches Online-System erstellen will, muss dafür gesorgt werden, dass jedes Mitglied jedes andere Mitglied überprüfen kann.“ Erst damit ruht der Prozess auf breiten Schultern, er wird für alle nachvollziehbar, das System kann nicht (bzw. nicht so leicht) manipuliert werden. Das, so Weisband, ginge aber nur, wenn man sich mit Klarnamen registriert – eine Entscheidung, zu der man sich in Deutschland noch nicht durchringen konnte.
Ein Interview mit Marina Weisband über die Situation der Piratenpartei in Deutschland und ihre Einschätzung der Piratenpartei Österreich finden Sie hier.
Marina Weisband auf Twitter: @Afelia