“Jeder Stand, jede Lebensart hat ihre eignen Sitten.“ (Johann Gottfried von Herder, deutscher Dichter, 1744-1803)
Die #aufschrei Debatte hat auch gezeigt, wie mentalitätsabhängig Körperkontakt ist. Und es gilt: When in Rome! Klar wird die italienische Mama einen Gast schneller abbussln als die kühle Blonde aus Hannover. Alter Hut. Diffizil wird’s erst bei den Branchenunterschieden: Kuscheln Architekten mehr als Schlosser? Aber weniger als Zahnärzte? Man weiß es nicht.
Für eine Job-Hopperin wie mich ist das schwierig. Ich komme aus einer Kuschelbranche. Wer stundenlang neben anderen im Ballettstudio steht, drückt sich auch privat körperlich aus. Wir sind in Garderoben haufenweise übereinander gekugelt und haben kollegial jedes müde Wadl massiert, das uns unter die Nase gehalten wurde. Der Sprung vom Tanz zum Theater war da nicht groß. Bei Regiebesprechungen auf einem Kollegenschoß sitzen, sich an der Schulter von Hamlets Mutter anlehnen: Normalität. Hatte man einander onstage an den Haaren gerissen, verfiel man offstage nicht schlagartig in körperliche Distanz. Und nein, grenzüberschreitend war’s nie. Mir kam das immer entgegen. Ich bin ein Kuscheltier.
Aber puh! Journalismus. Das ist eine körperlose Branche, bistdudeppat. Lauter wunderbare Leute um mich, aber niemand knetet Schultern (oder klopft auch nur mal drauf), keiner umarmt spontan eine Grafikerin, rangelt am Gang mit den Wirtschaftsredakteuren… No way!
Das innere Kuscheltier ist furchtbar desorientiert. Dauernd dieser Impuls, die Hand auszustrecken. Werd mich aber hüten. When in Rome.
[Herzfrequenz-Kolumne für die WIENERIN 283/ April 2013]