Ein Film wird dann zum Kult, wenn er sich in die Biografie von Millionen einschreibt. Mit dem Jubilar „Dirty Dancing“ verbindet fast jeder seine eigene Geschichte. Das ist eine davon. [für kurier.at, 18.08.2012]
Also machte ich mir einen Knoten in die Blusenzipfel und stapfte mit C. in den Mambo-Kurs. Es war der Sommer 1987, da hatte jede Tanzschule einen im Angebot. Leicht hochnäsige, stocksteife Tanzlehrer, die ständig den Eindruck erweckten, als hätten sie sich ihr Leben ganz anders vorgestellt, mussten dort mindertalentierten 14jährigen das Gefühl vermitteln, sie wären bei Kellerman`s. Qualvoll. Für alle Beteiligten.
Für C. und mich war Tanzen Revolution. Immer schon gewesen. Wir waren Flashdance-sozialisiert und wußten, dass Tanzen der einzige Ausweg war, der uns vor der Endstation Fließbandarbeit retten konnte. Seit Fame wussten wir: die Straße gehört uns. Seit Footloose war klar, dass die Engstirnigkeit und Fesseln des Kleinbürgertums nur durch Tanz gesprengt werden konnten. Nicht zu vergessen: Milos Forman zeigte uns in Hair, wie man unterwegs auch noch Tischmanieren, Tafelsilber und Augartenporzellan los wird. „Ihr könnt euch euren Differentialquotienten wohin stecken!“, erklärte ich Eltern und Mathe-Lehrern, „Als Tänzerin brauch ich den sowieso niemals.“
Dann kam Dirty Dancing. Und wieder war Tanz die Revolte gegen Regeln. Aber diesmal war`s anders, weil die Revolte selber mit so vielen Regeln behaftet war. Unvorstellbar, dass Baby und Johnny den Ghettoblaster mal bis zum Anschlag aufdrehen oder auf Autos springen würden. Die übten sich bieder in Takt zählen, Rücken gerade, Kopf hoch und lächeln, lächeln, lächeln. Die schnitten auch keine Kragen vom Sweatshit ab, statt dessen gab`s Kleidchen und Riemchensandalen. Der Molotowcocktail Tanz war zum Tischfeuerwerk mutiert.
Aber Baby wollte ja auch nie Tanzen, um des Tanzens Willen. Sie wollte Patrick Swayze (wer nicht?), sie wollte mal ein bißchen cooler sein, sie wollte einer Freundin aus der Patsche helfen. Wäre das mit Spitzenklöppeln gegangen, hätte sie Spitzenklöppeln gelernt. „Wenn du deinen Traum aufgibst, stirbst du“, hieß es fünf Jahre zuvor in Flashdance. Dirty Dancing machte daraus: „Wenn Du Deinen Traum aufgibst, gehst du halt Minigolf spielen.“ Verzehrendes Fieber? Intrinsische Motivation? Fehlanzeige. Statt dessen bekamen wir eine Modewelle und Tanzen wurde Mainstream.
C. und ich fühlten uns betrogen. Expertise, so heißt es, stiftet Identität. Das ist niemals so wahr wie bei Teenagern, die ihre erst puzzeln müssen. Nun aber fielen die Übernacht-Tanzexperten wie die Termiten über unsere aus ungezählten Muskelzerrungen gezimmerte Nische her. Good-bye USP, hello Weltschmerz! Ich brachte meine Spitzenschuhe in Sicherheit, er seine Jazzpants. Alles ist irgendwie falsch, dachten wir.
Oh ja. Kenny Ortega ist ein toller Choreograph. Einer der ganz großen. Aber mit dem, was wir damals als Nachwuchstänzer leben wollten, hatte Dirty Dancing in etwa so viel zu tun wie… naja… Dancing Stars. Selbes System übrigens: Profi bringt Laien zum Takt-zählen. Rücken gerade, Kopf hoch und lächeln, lächeln, lächeln. (Wussten Sie, dass Jennifer „Baby“ Grey Kandidatin der US-Variante war?)
Im Sommer 1987 hat die halbe Welt zu tanzen begonnen. C. und ich haben kurz darauf aufgehört. Was ein Differentialquotient ist, weiß ich noch immer nicht. Man muss sich ein Stückchen Revolte im Herzen bewahren.