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Michels Welt

Der Michel Reimon hat also einen Roman geschrieben: #incommunicado.
Vieles, nein, alles daran ist bemerkenswert. Wenn Sie nicht wissen, wovon ich rede: hier nachlesen. (Fein, dass man im Web nicht nochmal brüllen muss, was andere Löwen bereits so gut gebrüllt haben.)

Besonders bemerkenswert (aber nur konsequent!) ist, dass sich jemand so eine Heidenarbeit antut und dann die Früchte der selbigen verschenkt. Und auch: mit welcher Selbstverständlichkeit er das tut!

Nachdem ich seit Jahren regelmäßig Arbeit verschenke, wie viele andere in meinem Umfeld, ist mir Michels Einstellung diesbezüglich sehr vertraut und sympathisch. Fühlt sich irgendwie stimmig an.

“Unsere” [genaue Definition von “uns” unklar] Wertschöpfungskette ist eine andere als die herrschende. Nichtsdestotrotz gibt es eine. Gut so. Problematisch wird’s immer nur dann, wenn diese (eigene) Wertschöpfungskette auf die kapitalistische Hegemonie trifft. Dann sind der (Selbst-)Ausbeutung Tür und Tor geöffnet…

Klartext: Ein Werk zu schaffen und zu verschenken ist keine Selbstausbeutung. Auch meine Kinder betreiben keine Selbstausbeutung, wenn sie mir täglich ihre Zeichnungen, also Werke, schenken. Und im Gegensatz zu Michel schenken sie mir dabei ein physisches Produkt. Sie besitzen es dann nicht mehr. Michel jedoch verschenkt seine Gedanken, seine Story. Er besitzt sie immer noch. So wie es das Sprichwort der Freude attestiert, mehren sich auch Gedanken, wenn man sie teilt…

Warum ich das alles schreibe und nicht endlich zum Buch komme? Weil genau das das Buch ist, Leute! The medium is the message. Und Michel hat’s soeben bewiesen – mit einem Buch, dessen Inhalt und Vertrieb ident sind.

Anyway. Er hat’s also verschenkt. Gut. Ich hätte auch jederzeit dafür gezahlt. Gut.

Faktum ist: ich habe auch dafür gezahlt und nicht zu knapp… Weil ich nämlich lieber am Sofa lese als am Schreibtisch. Kindle hab ich keinen und 600 Seiten am Eifon wollt ich mir nicht antun… Deshalb bin ich zur Repa Copy marschiert und hab’s ausgedruckt. (Ja, ja, Internetausdrucker, lacht ruhig…)

Mit den € 34.- Kopierkosten hab ich kein Problem: So kann ich #incommunicado nach der Lektüre z.b. meinem Vater schenken, von dem ich sehr gerne hätte, dass er das liest. Oder Herrn Turnschuh, mit dem ich immer diese Issues diskutiere, der aber kein Freund des Bildschirm-Lesens ist… Somit eine gute, lohnende Investition.

Bloß dass ich die € 34.- halt lieber an Michel, an den Autor, gezahlt hätte anstatt an die doofe Repa Copy. Das ist so ein Fall, wo unterschiedliche Wertschöpfungssysteme auf hirnrissige Art miteinander kollidieren…

So. Das Buch.
Das Buch ist gut. Es ist spannend. Es liest sich schön flüssig. (Worum es geht, steht hier)
Mir ist es bissl zu edukativ, weil ich lass mich so ungern beim Lesen belehren. Andererseits: Grad wegen dieser Hintergrundinfo-Passagen, will ich’s ja meinem Papa und dem Herrn Turnschuh schenken… Zwei Seelen wohnen ach.

Ich hab mit dieser Art von Buch ein “Sofies Welt”-Problem: „Sofies Welt“ hat mich ganz kribbelig gemacht, eben wegen diesem ständigen Wechsel zwischen Philosophiegeschichte und Handlung. Immer wenn’s spannend wurde und ich grad so schön in die Handlung eingetaucht war, kam ein Einschub über Philosophie. Und immer, wenn ich mich für die Philosophie begeistert hab und mehr wissen wollte, ging’s mit der Handlung weiter. Wenig Chance, sich auf eins der beiden wirklich einzulassen. Das hat mich letztlich so enerviert, dass ich “Sofies Welt” zig mal angefangen und nie fertig gelesen habe…

Aber Michel macht das viel geschickter. Seine (historischen) Einschübe sind enger mit der Handlung verwoben, man wird nicht so von einem ins andere geschleudert. Im Unterschied zu Jostein Gaardner bringt Michel Reimon mich dazu, sein Werk auszulesen ;) Mehr noch: Ich hab #incommunicado in einer Nacht verschlungen.

Fazit: Ich glaube wirklich, dass Michel hier ein  “Sofies Welt” für das 21. Jahrhundert verfasst hat. Und nüchtern betrachtet: Ja, ich hatte (obige) Probleme mit “Sofies Welt”. Aber damit bin in meinem Umfeld allein. Immerhin wurde es ein Weltbestseller und stand (steht?) als Unterrichtsstoff auf diversen Leselisten…

Das trau ich #incommunicado durchaus zu. Das wird noch ordentlich Fahrt aufnehmen. (Einmal sollte noch ein kluger Lektor drüber lesen, wie Leyrer anmerkt)

Und wenn Michel jetzt noch ein Brückenschlag zwischen den konträren Wertschöpfungsketten einfällt, dann hätte er überhaupt den Stein der Weisen gefunden. Aber… hmmm… genau darum geht’s ja… Also ladet es runter und lest es!

Ceterum censeo soll der Ich-Erzähler bitte trotzdem Anna kriegen.

Und jetzt alle:

P.S. an den Autor: Nachdem die € 34.- leider nicht bei Dir gelandet sind, darf ich Dir als Lesebeitrag einen Tequila ausgeben?

6 Responses to “Michels Welt”

  1. Leyrer sagt:

    Nicole, ich muss Dir in einem Punkt widersprechen. Der Ich-Erzähler darf Anna auf keinen Fall kriegen. Das passt nicht in die Geschichte. Das ist ja keine Hollywood-Story.

    • Nicole Kolisch sagt:

      ja, das weiß ich eh. für die geschichte wär’s schrecklich schlecht, wenn er sie kriegt. aber für mein seelenheil wär’s gut ;)))

      • Leyrer sagt:

        Wenn nach Dir ginge, hätte Rick auch Ilsa in Casablanca bekommen …

      • Nicole Kolisch sagt:

        Sowieso ;) HAL wäre repariert und würde mit David am Lagerfeuer Hänschen klein singen. Ich bin immer dafür, dass alles gut wird. Aber, klar, das dramaturgische Potential dieses Wunsches ist halt null. (Mein Ceterum censeo war ja auch nur ein Gefühlsausdruck, nix literarisch-wünschenswertes ;)

  2. bruckner sagt:

    my 2 cents – ich kann dir da ja nicht so zustimmen… finde das romanvorhaben dann doch zu bemüht…
    http://manfredbruckner.blogspot.com/2012/03/incommunicado-michel-reimon.html

    • Nicole Kolisch sagt:

      das wird ihn freuen, denk ich :) er hat erst letzte woche gesagt, dass das ja wohl nicht so weiter gehen kann mit den ganzen positiven kritiken und er schon auf die erste gegenstimme wartet.

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