…in der Kategorie „Senf ohne Würschtel“
Hier also, wie letztes Jahr, die gestrige Laudatio für Herrn Bockelmann, gehalten beim dritten „Wolfgang Lorenz Gedenkpreis für internetfreie Minuten“, 10. November 2011 im Lilarum – oder wie ein Kommentator auf heise.de so nett geschrieben hat: „in der österreichischen Pampa“.
Es war uns allen klar, dass das nicht die gesellschaftlich relevanteste unter den Nominierungen war. Aber schon einmal für die Mama von Preis-Stifter Johannes. Musik ist Liebe. Wolo auch ;)
[Das einleitende Zitat entstammt dem Lied „Du bist durchschaut“ von Udo Jürgens aktueller CD, die besungene „Assistentin“ für Emails diesem Interview mit der Süddeutschen.]
„Die Welt ist eine Google,
Da bleibt gar nichts mehr geheim.
Ob Wohnung, Haus, ob Garten,
Jeder schaut da online rein!Im Netz, da lauern Hacker,
Auf den Straßen Kameras,
Man sieht in uns rein – als wär‘n wir aus Glas.Am Flugplatz wirst du eingescannt
Bis hin zum großen Zeh.
Und deine Kontodaten
Gibt es bald schon auf CD.
Fehlt nur noch, dass bei Facebook
Deine Leberwerte steh‘n.
Na, dann gute Nacht – dann ist es gescheh‘n!(…)
Egal, wo du dich auch verkriechst,
Es hilft dir keine List.
Sie finden dich per GPS,
Wo du auch immer bist.
Ganz offenherzig twitterst du,
Gibst alles von dir preis,
Den größten Mist – den kleinsten Scheiß!(…)
Wenn du mich fragst: geschieht uns recht,
Wir machen ja alles mit.
Sogar zum Auto finden wir
Nur noch per Satellit…“
Der Text, den Wolfgang Hofer hier für Udo Jürgens verfasst hat, steht für ein weit verbreitetes soziobiologisches Verhalten. Herr Jürgens ist, gerade heute Abend, durchaus nicht alleine mit seiner technophoben Ignoranz. Was aber ist es – abgesehen von schlechter Recherche – dass dieses Verhalten als WOLO-würdig auszeichnet?
Wir befinden uns inmitten eines Umbruchs, wie es ihn seit der industriellen Revolution nicht mehr gegeben hat. Ich habe das unlängst in einem anderen Kontext geschrieben, aber ich denke, es passt hier [außerdem war ich zu faul müde, um etwas Neues zu schreiben – Anm.]
„Das Internet ist nicht der erste technologisch induzierte Kultur- und Strukturwandel der Öffentlichkeit. Es könnte aber der radikalste, vielleicht auch schnellste sein. Keiner, der vor wenigen Jahren halblustige Büro-Witzchen per Email verschickte, konnte sich vorstellen, dass „Twitter-Revolutionen“ Regime stürzen, Museen sich via Kickstarter finanzieren oder dass 90.000 Menschen gemeinsam ein Lexikon schreiben. Für lau.”
Der Kollege Wittenbrink, der heute leider nicht da sein kann, hat das auf den Punkt gebracht, indem er sagt: “Die neuen Kulturtechniken, die dieser Wandel erfordert, besitzen wir vielleicht heute noch gar nicht zur Gänze. Das ist auch der Grund, dass viele Leute sich so schwer tun mit der Materie.“
„Die Soziologie spricht hier von „Digital Refuseniks“, deren Verharren in der analogen Kriechspur eine Gesinnungsfrage geworden ist und (zumindest in Österreich) nur mehr in den seltensten Fällen ökonomisch motiviert. Ja, es stimmt: Der digitale Graben existiert. Er verläuft weiterhin zwischen „ich kann“ und „ich kann nicht“. Dahinter steckt aber längst ein „ich will nicht“, das ein massiv Emotionales ist (…) und sich jedem Diskurs entzieht.”
Der große Udo Jürgens fällt somit nicht in die Kategorie des “Diskurstrolls” (den Jana letztes Jahr brillant definiert hat), er fällt in die Kategorie des Diskurs-Ausblenders.
Durch seine zutiefst emotionale Natur ist das Diskurs-Ausblenden – meiner Ansicht nach – gerechtfertigt. Keinem soll die Freiheit genommen werden, so viele Diskurse auszublenden, wie er/sie möchte. Dann jedoch ist es ein Gebot der Fairness, konsequent zu bleiben bei der Ausblenderei!
Und genau das tut er nicht, der Udo. Und mit ihm viele andere Diskurs-Ausblender. Sie senfen. Bloß: In einem Diskurs, den man ausgeblendet hat, mitsenfen – das ist wie hinlaufen-hinhauen-wegrennen. Das ist wie Antonia Rados, die sagt: “Ich bin nicht auf Facebook, ich habe schon genug Freunde.”
Kurz: Mitsenfen in einem bewusst ausgeblendeten Diskurs ist Stammtisch-politisieren ohne Nachrichten hören.
Die Nominierung für den Wolo ‘11 ergeht somit an das Prinzip “Wenn ich die Augen zumach, ist es zwar nicht da – aber ich kann es trotzdem noch rasch einen krummen Hund schimpfen.”
Und sie ergeht an Udo Jürgens, weil der nicht blöd ist. Weil der es besser wissen müsste und schlechter macht. Wer in der Öffentlichkeit steht, hat Vorbildfunktion. Auch das weiß er, der Udo. Daher im Namen der Jury: Werter Herr Professor: Nichtgenügend, setzen!
Natürlich kann man so eine Nominierung nicht musikfrei gestalten! Daher bitte ich um stimmgewaltige Unterstützung für die folgende Hommage [Musik: Udo Jürgens / Arrangement: Alex Yoshii]:
[Ref. / zu singen zur Melodie von „Ich war noch niemals in New York“:]
Ich schrieb noch niemals eine Mail,
die Assistentin tut’s für mich
mir ist das Online-Klumpat tendenziell ein Graus,
Ich schrieb noch niemals eine Mail,
und grade darum senfe ich
wenn’s um Diskurs geht,
dann blend ich ihn lieber aus…
[Melodie „Und immer, immer wieder geht die Sonne auf“ – Strophe & Ref.:]
Wenn im Netz, ein jeder sagt, was ihm gefällt,
wenn Monopole zu Ende gehen,
nur Sharing-Techniken überstehen…
– was wird aus mir?Sagt ja selbst Prince,
das mit dem Web ist bald vorbei,
zu viel Binäres ist schlecht für dich,
Und was für Prince gilt, gilt auch für mich:
Misstrau’ der Zeit!Und immer, immer wieder ruf ich mahnend: Halt!
Wenn ich nicht mag, dann sollen auch and’re niiiiicht.
Ja immer, immer wieder ruf ich mahnend: Halt!
Denn Offline-Zeit für alle tröstet mich, die tröstet mich… die tröstet mich…
[Melodie „Mit 66 Jahren“ – Ref.:]
Mit 77 Jahren, da geht’s mich nichts mehr an
Mit 77 Jahren hab ich kan Spaß daran,
mit 77 Jahren, da will ich meine Ruh
mit 77…. mach ich Scheuklappen zu!
[Und jetzt alle!]
Ich schrieb noch niemals eine Mail,
die Assistentin tut’s für mich
mir ist das Online-Klumpat tendenziell ein Graus,
Ich schrieb noch niemals eine Mail,
und grade darum senfe ich
wenn’s um Diskurs geht,
dann blend ich ihn lieber aus…
Danke!
Laudatios für die anderen Nominierten (sofern schon online) finden sich hier:
- Thomas Thurner: Nominierung von Joseph Ratzinger und seinem Betrieb
- Manfred Bruckner: Nominierungsrede für Sebastian Loudon
- Jana Herwig: Nominierungsrede für VÖZ und Co.
- Martin Leyrer: Bundeskanzler Faymann, das Bundeskanzleramt und „Team Kanzler“ (nicht die Rede, aber der Blogpost, der ihr zugrunde liegt)
- to be continued…
Further Reading: „Wolo“ in der Futurezone (davor und danach) & „Wolo“ auf heise.de & „Wolo“-APA-OTS & Standard.at-Bericht
(Aber alles wurscht… ich warte ja auf HORIZONT ;))