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Beds are burning

London brennt und die Druckerpresse schläft. Dann lasst uns doch endlich Ernst machen mit dem Bürgerjournalismus! [Kolumne für den WIENER 361]

Sonntag, 7. August 2011. Vor dem Schlafengehen werfe ich den üblichen Blick auf meine Twittertimeline und will schon das Licht abdrehen, als ich sehe: Enfield wird hier als “Trending Topic”, als heißdiskutiertes Thema der Stunde gelistet. “Enfield?”, denke ich, “Was zum Teufel…?”

Ich kenne Enfield. Dagegen ist Gramatneusiedl eine pulsierende Metropole. In Enfield wohnt meine Großtante – und das ist bereits das absolut aufregendste an dem Kaff. Wie kann das “trending” sein? Ein Klick zeigt mir die dazugehörigen Wortmeldungen an: Randale, Plünderungen, dazu ein paar Schnappschüsse vom abgeriegelten Bahnhof. Nicht rasend beunruhigend, aber die Tante ist 92. Vielleicht sollte sie besser zuhause bleiben? Ich versuche die Tweets zu verifizieren, aber bis auf eine Minimeldung der Enfielder Lokalzeitung (Grundtenor: “Wir wissen auch nix”) findet sich nichts in den klassischen Medien. Njente. Ich geh mal telefonieren. Sicher ist sicher…

Als ich zurückkomme, ist Twitter explodiert: Augenzeugenberichte im Sekundentakt. Inzwischen auch Videos von Brandbomben, Überfällen. It’s not pretty – aber das Puzzle setzt sich zusammen. Wer ein bißchen Gespür für Twitter hat, merkt rasch, welche Accounts vertrauenswürdig und tatsächlich vor Ort, welche Hashtags der Ariadnefaden durch das Meldungslabyrinth sind. Schnell wird deutlich: Tottenham, Enfield… das ist erst der Anfang.

Verdammt, denke ich. Wo sind die Medien? Schickt endlich einen Reporter hin!
Aber es ist Sonntag Nacht. Das schlimmste, was eine Revolte machen kann, ist an einem Wochenende loszugehen. Noch dazu in der Nacht! Da sitzen die zuständigen Ressortleiter bei einem Glas Port. Und die Ein-Mann-Nachtschicht-Besetzung der Redaktion ist längst über der zwanzigsten Partie Solitär weggemützt. Die Welt hat sich bitte dem Erscheinungsrhythmus anzupassen, nicht der Erscheinungsrhythmus der Welt!

Bloß: In Enfield, in Brixton, in Edmonton, in Hackney (und wie sie alle heißen) sieht man das anders. Da wird berichtet, wenn nicht via BBC, dann eben auf alternativen Kanälen. Ist ein menschlicher Reflex, zu sagen: “Jabistdudeppat, was ich da grad erlebt hab…” Weil es der Betroffenheit entspringt, ist es auch authentisch und ja, es ist relevant!

Im Radio rocken Midnight Oil: “How do we sleep while our beds are burning?” Der Ein-Mann-Nachtbesetzung ist echt kein Vorwurf zu machen. Redaktionen sind ebenso chronisch unterbesetzt, wie Redakteure chronisch überarbeitet. Aber die Reporter, die auf “unserer” Seite fehlen, die gibt es da draußen. In Tausendschaften.

Wenn Enfield brennt, kann ich’s meiner Tante sagen. Denn es steht auf Twitter – lange bevor sie es im Fernsehen sehen kann, lange bevor Telegraph oder Observer die Story aufgreifen. “The time has come to say fair’s fair!”, singen Midnight Oil. Ita est. Wir haben tolle Reporter. Hören wir endlich auf, elitär die Nasen zu rümpfen!

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