Während Philologen sich um die Zukunft des Buches sorgen, hat der Wandel vom Leser zum Hörer längst eingesetzt. Wir wollen Bücher. Aber wir wollen sie „on the go“ [Erschienen im Techno-Wiener, Jänner 2011]
Kennen Sie Don Quixote? Sicher. Aber haben Sie ihn gelesen? Vermutlich nicht. Geschrieben 1605, umfasst die Schwarte nicht weniger als 126 Kapitel. Nicht einmal die Spanier beißen sich da durch, dabei gilt ihnen der Roman als Nationalheiligtum. Weil aber Bildungslücken da sind, um geschlossen zu werden, hat die Königliche spanische Akademie für Sprache ein ehrgeiziges Projekt ins Leben gerufen: Der Cervantes-Klassiker wurde in 2000 handliche Häppchen zerlegt und soll nun von Freiwilligen aus aller Welt auf YouTube rezitiert werden: Wer Lesen als Kampf gegen Windmühlen empfindet, kann stattdessen zuhören. Und bevor hier jetzt eine kulturpessimistische Debatte zum Thema Illiteralität entbrennt: Es ist oft auch eine Zeitfrage. Natürlich können und sollen, nein, wollen Menschen lesen, aber wer hat schon die Möglichkeit, sich in einer zunehmend schneller drehenden Welt mit einem guten Cognac und einem Schmöker in Opas Lehnstuhl zu setzen? Literaturgenuss, das muss „on the go“ funktionieren: Beim Autofahren, beim Workout, in der Supermarktschlange.
Menschen brauchen Geschichten, um die Welt zu verstehen und mit Sinn zu füllen. Menschen lieben Geschichten, weil sie sich selbst in ihnen spiegeln. Menschen finden zueinander in Geschichten, weil Geschichten Gemeinsamkeiten schaffen und Raum für Anschlusskommunikation. Weil wir uns und den anderen erst fassen können durch Geschichten.
Dass diese Geschichten jedoch in Bücher gedruckt werden, ist eine relativ neue Entwicklung. Zumindest, wenn man die Menschheitsgeschichte als Maßstab hernimmt. Mehr noch: Es ist eine vorübergehende Entwicklung. Die Wissenschaft spricht von der „Gutenberg-Klammer“ und meint damit ein Zeitalter des Lesens, das wir gerade dabei sind, kopfüber zu verlassen – zurück zu den Wurzeln, zu einer langen Tradition der mündlichen Überlieferung. Zugegeben, philosophische Extrempositionen können nur selten der Wirklichkeit des Menschen gerecht werden und da der Alltag nicht der Theorie folgt, wird’s wohl noch ein Zeiterl dauern, bis wir die Gutenberg-Klammer schließen: Jede Postwurfsendung ein Gegenbeweis.
Aber es stimmt schon: Nach 500 Jahren Vorherrschaft des geschriebenen Wortes, findet das gesprochene wieder mehr Platz in unserem Leben. Auferstanden durch den Siegeszug der Podcasts, unterstützt durch die Vorteile der Digitalisierung und neuer Technologien. „Podcasting ist die orale Tradition des digitalen Zeitalters“, schreibt IT-Forscher Michael Dizon, „Aber gedopt mit Steroiden!“
Das Wort „Podcast“ verdanken wir Apple, denn es setzt sich zusammen aus „iPod“ und „Broadcast“. Also Radio für den Zwerg in der Hosentasche. 2005 wurde es vom Oxford Dictionary zum „Wort des Jahres“ gekürt. Für den Alltagsgebrauch bedeuten Podcasts in erster Linie eines: Zeit-, Ort- und Empfangs-ungebundener Radiokonsum, „on demand“ im besten Sinn.
Die Angebote sind vielseitig und längst nicht mehr auf das Duo iPod/iTunes beschränkt. Dank des österreichischen Start-Ups Yasssu (www.yasssu.com) braucht es auch kein ultra-modernes Smartphone, denn die Plattform bietet seit 2007 die Möglichkeit, Podcasts aus über 5000 Quellen (1,3 Millionen Folgen) in einem Online-Verzeichnis zusammen zustellen und unterwegs auf jedem Mobiltelefon abzuhören. Abonnierte Sendungen werden automatisch aktualisiert, sobald eine neue Epidsode erscheint und können via einfachem Anruf empfangen werden. Neu im Yasssu-Angebot: Der Audio-Guide des Naturhistorischen-Museums. So erspart man sich teure Leihgeräte und bekommt die Exponate per Handy erklärt.
Podcasts zu verschiedenen Themenbereichen bieten mittlerweile fast alle gängigen Radio- und viele Fernsehsender an: Nachrichten, Comedy, Sendemitschnitte, Service-Themen, Sprachunterricht. Ein Besuch der BBC-Website führt bei Soundfile-Afficionados regelmäßig zu feuchten Händen und erhöhtem Pulsschlag, denn hier gibt es alles. Und alles gratis; alles abonnierbar.
Aber auch Printmedien ziehen nach: FAZ, Zeit und Süddeutsche Zeitung sind total fehldimensioniert, will man sie in der U-Bahn lesen. Ihre Podcasts eignen sich aber wunderbar. „Bildung to go“ findet sich in den Podcasts von Universitäten und Fortbildungsinstituten, und auch Barack Obama und Angela Merkel wenden sich regelmäßig per Regierungspodcast an die Nation.
Fans bestimmter Marken bietet sich ein wachsendes Angebot an Corporate Podcasts, denn nach anfänglichem Zögern auf Unternehmerseite hat der Run auf die Pole Position unter den Audio- und/oder Video-Providern inzwischen richtig eingesetzt: BMW, Starbucks, Coca Cola, Axe, Mercedes Benz, Gillette, IBM – um nur einige wenige zu nennen, casten was das Zeug hält. Nicht bloß extern (sprich zu Werbe- und PR-Zwecken), sondern auch für die interne Kommunikation mit Mitarbeitern.
Und natürlich gibt es in der freien Bloggerszene das nicht-kommerzielle Äquivalent: Blogger und Blogetten, die ihr Kommunikationsbedürfnis eben jener oralen Tradition schulden und lieber über audiovisuelle Kanäle ausleben als per Tastatur. Denn Podcasting, das ist Geschichten erzählen, Geschichten weitergeben und Geschichten hören in reinster Form. Es ist das Teilen von Kultur durch Sprache. Es verleiht dem Leben eine Stimme.