Was Obama kann, können wir schon lange. Oder etwa nicht? Die Polit-Insider Andrea Heigl und Philipp Hacker haben den rot-weiß-roten Wahlkampf 2.0 unter die Lupe genommen. [Erschienen im WIENER 351 / November 2010]
Die Demokratie ist bekanntlich die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen. Besonders deutlich wird das vor (und nach) jeder Wahl: Worthülsen schallen zunehmend inhaltsleerer durch den Äther, auf Plakaten wird kampfgelächelt bis zum Erbrechen und der Gemüseeinkauf am Marktstand verkommt zum Spießrutenlauf zwischen Bärli-verteilenden Bezirkskandidaten. Ja, das war schon immer so; spätestens als der erste Funktionär begriff, wie das Helium aus der Kartusche in den Ballon kommt. Aber Veränderung liegt in der Luft. Denn im Herbst 2010 heißen die Kampfzonen nicht mehr ausschließlich Brunnen- ,Yppen- oder Viktor-Adler-Markt. Sie heißen Facebook, Twitter und YouTube. Das Marktgebiet der Ideologien findet seine Erweiterung und Entsprechung im Social Web.
„Spätestens seit dem Wahlerfolg Barack Obamas in den USA hat sich auch in die verstaubtesten Winkel der europäischen Parteizentralen herumgesprochen, dass ohne das WWW schlicht nichts mehr geht“, heißt es deshalb in dem Buch „Politik 2.0“ von Andrea Heigl und Philipp Hacker. Doch nicht alles, was bei den Amis funktioniert, ist auch bei den Ösis von Erfolg gekrönt. Zu unterschiedlich sind die Mentalitäten und letztlich die politischen Strukturen. Hier gilt es, neue Konzepte zu finden. Und das passiert, schrittweise, stockend, aber durchaus mit der einen oder anderen Erfolgsstory made in Austria. „Dass die Parteien das Internet als echten Teil des Wahlkampfes betrachten, das gibt es noch gar nicht so lange“, attestiert Hacker im WIENER-Interview, „Das war erstmals bei der Bundespräsidentenwahl der Fall und natürlich auch jetzt bei der Wienwahl. Unserer Meinung nach wird der nächste Nationalratswahlkampf der erste in Österreich sein, bei dem wirklich in großem Rahmen mit den neuen Möglichkeiten umgegangen wird.“
Dem Fischer-Wahlkampf stellen die beiden Autoren ein gutes Zeugnis aus, schon allein deshalb, weil „HeiFi“ zwei grundlegende Web-Regeln beherzigt hat: Er war in seiner Webpräsenz authentisch und hat sich Leute an Bord geholt, die sich mit dem Medium auskennen. Man muss ja nicht alles selber machen. Twittern zum Beispiel. Das war nicht sein Ding, macht aber nichts: Der Zwitscher-Account der Präsidentschaftskanzlei hieß folgerichtig „BeiFi“ („Bei Fischer“) statt „HeiFi“. Man gab nie vor, jemand anderer zu sein. Das hat wunderbar funktioniert. Auch das Ziel, jüngere Wähler anzusprechen, die sich sonst wenig für den geruhsamen älteren Herren interessiert hätten, wurde klar erreicht. Na gut, halb Österreich lachte sich scheckig über das Packerl Mannerschnitten, das via YouTube am präsidialen Schreibtisch zu sehen war, aber so was bleibt eben hängen. Hacker: „Wir erinnern uns heute noch daran, wie Heinz Fischer seine Wiederkandidatur bekannt gegeben hat. Hätte er eine Pressekonferenz gemacht, wüsste es niemand mehr.“ HeiFi hatte somit nicht nur die Mannerschnitten-Retweets auf seiner Seite, sondern auch ein Medienecho, für das Konkurrent Gehring wohl drei Rosenkränze gebetet hätte.
Aber auch der Koalitionspartner punktet. Erinnern Sie sich an die Suche nach dem „Superpraktikanten“, der/die eine Woche an der Seite Josef Prölls verbringen durfte? Klar, für Bobos und Feuilleton-Leser eher ein Brechmittel, aber, so Heigl, „Man darf nicht vergessen, dass es für viele junge Menschen ein positiver Erstkontakt mit Politik war. Die Seite hatte enorm viele Zugriffe und wurde zum Selbstläufer.“ – Hacker: „Die ÖVP hat das aufgesetzt und dann ist es einfach passiert! Und mit ein bissl Bauchweh, aber doch, haben sie es auch passieren lassen.“ Das Ergebnis: Eine fast geschenkte Image-Kampagne für den Vizekanzler. Die Siegerin Reez Wollner (26) war ein absoluter Glückstreffer. „Die war so sympathisch und quirrlig“, sagt Hacker, „Wenn die nicht für jung, dynamisch und ein bissl ausgeflippt steht, dann tut es keine.“ Ein derartiges Image hätte Josef Pröll alleine nur schwer projizieren können. Mit Frau Wollner an seiner Seite, war es plötzlich leicht.
Solche Vorstöße der Parteien stellen dennoch die Ausnahme dar. Die meisten Online-Aktivitäten sind auf die Privatinitiative von www-affinen Politikern zurückzuführen. Es gibt noch keine Fraktion, die eine systematische, inner-parteiliche Guideline hätte, wie mit dem Thema Web umzugehen ist. Am Aktivsten bloggen derzeit die Grünen, die hier ihre ganze (teils auch konträre) Meinungsvielfalt ins Netz tragen. Ihrem basisdemokratischen Selbstverständnis entsprechend, wird das auch nicht auf Parteilinie glattgebügelt. Hacker: „Dieses leicht Chaotische, das man den Grünen offline oft vorwirft, gerade im Wienwahlkampf, das spiegelt sich auch online.“ Bloß sind sie hier nicht die einzigen mit diesem Problem: Politblogs, Facebook-Pages aller Couleur und auch Flickr-Accounts für die gesammelten „Erinnerungsfotos mit meinem Landeshauptmann“ begannen allesamt aus urwüchsig verstreuter Triebkraft zu keimen. Nun gilt es, sie zu bündeln und ihnen „nachträglich, ein Mäntelchen umzuhängen.“
Gleichermaßen hilfreich und hemmend wirkt sich dabei aus, dass in kaum einer Partei dezidierte Online-Profis am Werk sind. Die jeweils vorhandenen Kommunikationszentralen machen „das halt auch noch“. Und das ist nicht einmal das Schlechteste, denn so kommt es nicht zu widersprüchlicher Kommunikation on- und offline. Dass die linke Hand an der Mouse nicht weiß, was die flyer-verteilende rechte Hand tut, wird weitgehend vermieden. Hacker: „So wie die Kommunikationszentralen Presseaussendungen schreiben, schreiben sie allerdings dann auch Beiträge für die Homepage. Das merkt man.“ Es ist eben kaum etwas rasend kreativ, noch keine Partei hat das virtuelle Rad neu erfunden. Schon einmal, weil für den Webkampf auch nicht viel Budget locker gemacht wird. Dabei ist online, entgegen der vorherrschenden Meinung, nicht billig. Social Media Marketing bedeutet – im Idealfall – eine Verlagerung des Budgets von Marketing in Human Ressources. Und Arbeitskraft kostet. Heigel: „Die Verbreitung ist billig im Netz, aber man muss auch guten Content produzieren, wenn man will, dass er sich verbreitet.“ Klar ist es billiger, einen Spot auf YouTube zu stellen, als die entsprechenden Werbeminuten beim ORF zu buchen. Man sollte aber nicht unterschätzen, was es kostet, ein gutes virales Video zu drehen. Heigl: „Die einzige Partei, die jetzt im Wienwahlkampf massiv Geld für dieses Thema in die Hand genommen hat, ist die SPÖ.“ Mit dem „Redbook“ (www.redbook.at), das sich stark an mybarackobama.com anlehnt und mit „Team für Wien“ (www.mission2010.at). Hier können sich User vernetzen, die im Wahlkampf helfen wollen, etwa nach dem Muster: „Ich hab morgen am Nachmittag 10 Minuten Zeit und bin in der Innenstadt. Was kann ich für die SPÖ tun?“ – Antwort: „Beteilige dich an einer Verteilaktion, die in der Nähe deines Büros stattfindet“ Oder: „Rufe in der U-Bahn einen Freund an und erzähl ihm, wie super Michael Häupl ist.“
Einladung zum Fremdschämen? Vielleicht. Aber man muss neidlos anerkennen, dass „Team für Wien“ gut gemacht ist. Natürlich hat sich die Wiener SPÖ hier leichter getan, Geld auszugeben. Einfach weil sie’s hat. Denn Internet ist, auch das muss gesagt werden, ein additives Tool. Man erspart sich ja deshalb noch keine Plakate oder Flyer. Man hat Zusatzausgaben.
Und dann gibt es noch ihn. „Wir haben uns die Facebook-Seite von H.C. Strache sehr genau angeschaut, weil er der Politiker mit am Abstand den meisten Fans ist [59.631 – Anm.]“, sagen Hacker und Heigl, „Das schaffen Laura Rudas, Fritz Kaltenegger und Eva Glawischnig zusammen nicht.“ Dabei ist es ziemlich offensichtlich, dass Strache seine Seite nicht selber betreibt. Es ist schlicht eine Fanseite und nicht besonders persönlich. Auch Interaktion mit den Usern findet nicht statt, dafür Schmankerln wie „Gewinne einen Kinoabend mit H.C. und seinen Facebook-Freunden“. Hacker: „Das Phänomen Strache funktioniert online genauso wie offline: Er vermittelt den Leuten das Gefühl: Ich bin ein leiwander Kerl. Was er nicht vermittelt ist: Ich bin ein Politiker“. Heigl: „Da posten unglaublich viele Mädels, wie fesch der H.C. ist, aber Inhalte kommen nicht zur Sprache. Er könnte genauso gut Popstar oder Schauspieler sein.“
Wie sich Online-Aktivität von „Freunden“ oder Fans in Offline-Engagement übersetzen lässt, ist ein Problem, für das derzeit noch keine Partei eine nachhaltige Lösung gefunden hat. Ein Klick auf den „Gefällt mir“-Button ist noch lange kein Kreuzerl in der Wahlzelle. Was sich zeigt, ist, dass politische Aktivierung im Netz am besten themenspezifisch funktioniert, weil Menschen heute mit Parteien nicht mehr Lebens-, sondern Themenpartnerschaften eingehen. „Gerade was das anbelangt, kann man ganz viel vom amerikanischen Wahlkampf abschauen“ meinen Heigl und Hacker, wissen aber auch: „Aus Werner Faymann oder Josef Pröll wird in diesem Leben kein Barack Obama mehr.“
Nachsatz: „Das Internet gibt es – und mit ihm ein großes Demokratisierungspotential. Das werden die Parteien auch nicht mehr abdrehen können. Die spannende Frage ist: Werden sie da mithalten?“ Warten wir auf 2013…
[Seite 2: 10 Guidlines für Webwahlkämpfer]
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