Für den kommenden WIENER habe ich einen Beitrag über das umstrittene Anti-Piraterie-Abkommen ACTA verfasst. Aber die Vorlaufszeit eines Monatsmagazin vermag mit tagespolitischem Geschehen eben nur in den seltensten Fällen Schritt zu halten. Diesmal hat die EU-Kommission schneller gehandelt als erwartet und wir haben den Text, da in der Form nicht mehr aktuell, aus dem Heft genommen. Ich will aber nicht gänzlich umsonst geschwitzt haben ;)
Deshalb stell ich ihn jetzt einfach online – für den Fall, dass es doch noch jemanden interessiert. In der neuen Version des ACTA-Dokuments wurde Manches entschärft. Problemlos ist er dennoch nicht…
STOPPT DIE KRAKE
Seit 30. Oktober 1918 ist „jede Zensur“ in Österreich per Gesetz „als dem Grundrecht der Staatsbürger widersprechend als rechtsungültig aufgehoben“. Nicht mehr lange.
Lesen Sie nicht weiter. Dann können Sie später getrost behaupten, sie hätten von nichts gewusst und müssen sich nicht vor ihren Kindern rechtfertigen. Dann nämlich, wenn die unangenehmen Fragen kommen: Was hast du getan, als sie das Postgeheimnis abgeschafft haben? Hast du dich gewehrt, als das Zensurgesetz ausgehebelt wurde?
Noch bis Ende dieses Jahres soll das von 38 Staaten ausgehandelte Anti-Counterfeiting Trade Agreement (kurz: ACTA) beschlossen und der Vertrag so rasch wie möglich ratifiziert werden. Dass die über Jahre gehenden Verhandlungen hinter geschlossenen Türen geführt und Informationen über den Vertrag nur durch Leaks bzw. durch massiven Druck der Öffentlichkeit preisgegeben wurden, mag ein bisschen etwas über das Demokratieempfinden der Verhandlungspartner aussagen, wundert aber nicht weiter, wenn man sich anschaut, in welchem Interesse hier agiert wird. „Anti-Counterfeiting“ – das trägt den Begriff „Fälschung“ im Namen. Und tatsächlich handelt es sich um eine Regelung, die illegale Produktkopien stoppen und Leistungsschutzrechte (Copyright) stärken soll. Da kann man nichts dagegen haben. Künstler sollen für ihre Werke angemessen entlohnt werden, das würde selbst der eingefleischteste Webpirat unterstützen.
Etwas diffiziler wird die Sache allerdings, wenn man sich die Mittel zum per se hehren Zweck ansieht. Und die Nutznießer gleich dazu. Letztere sind nicht die Künstler (Autoren, Filmemacher, Musiker etc), von denen sich viele bereits gegen ACTA organisiert haben, da sie eine massive Einschränkung künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten befürchten. Nein, es sind „Mittelsmänner“, allen voran die Interessensverbände der amerikanischen Musik- und Filmindustrie. ACTA ist, wenn man so will, die Lösung ihrer Probleme: Eine Chance, Geschäftsmodelle des analogen Zeitalters aus ihrer Obsoleszenz zu befreien und ins digitale Zeitalter herüberzuretten. ACTA – das ist schlicht das Ergebnis von geschicktem Lobbying der Unterhaltungskonzerne gegenüber ihren jeweiligen Regierungen. Mit einem Ergebnis, das uns alle betrifft, via EU auch Österreich.
Nun ist das Lied von der bösen „Content Mafia“ und den armen, geknechteten Künstlern ein oft gesungenes. Wer nicht selber Musik macht oder ab und zu dem Filesharing frönt, kann das ewige Hickhack vermutlich nicht mehr hören und hat schon gar nicht das Bedürfnis, sich da sonderlich zu engagieren. Otto Normalverbraucher bekommt Copyright-Reglementierungen maximal auf YouTube zu spüren: „Dieses Video enthält Material von Sony und ist in ihrem Land nicht verfügbar.“
ACTA geht aber weiter. Es regelt das Copyright für jede Art von Information: Sie wollen ein Kochrezept an ihre Freunde verschicken? Einen interessanten Zeitungsartikel? Besser nicht, denn darauf drohen Strafen bis zu sechsstelligen Summen. Verstoßen Sie zu oft dagegen, wird Ihre Internetverbindung gekappt („Three Strikes“).
Natürlich ist nicht-kommerzieller Informationsaustausch zwischen Freunden nicht dasselbe wie kommerzielle Produktpiraterie. Aber ACTA differenziert hier nicht: Jede Art von „Sharing“-Aktivität wird in einen Topf geworfen und kriminalisiert. Somit wird auch jeder Zugriff auf Wissen und Kultur, so wichtig er für Innovation und Meinungsfreiheit auch sein mag, zum strafbaren Akt. Ein schlechter Witz, eine George-Orwell-Persiflage möchte man meinen. Niemand, der auch nur einen Schimmer davon hat, was das Web „as we know it“ ausmacht, würde so ein Abkommen unterzeichnen. Aber 38 Staaten tun es.
Wie jedoch überprüfen, ob Inhalte geteilt werden? Mittels Kontrolle. Ihr Provider wird künftig die volle Verantwortung dafür tragen, welche Datenpakete über seine Leitungen laufen. Um sich nicht selber strafbar zu machen, verpflichtet er sich, ihre Emails sowie all ihre Netzaktivitäten zu observieren und bei Verdacht zu melden. Er darf Sie nicht bloß überwachen, er muss es.
Ach und heben Sie sich besser alle iTunes-Rechnungen auf, denn auch der Zoll darf künftig schauen, was sie so auf ihrem Handy und MP3-Player haben… Wieviel Top-Down-Kontrolle verträgt eine moderne Wissensgesellschaft?
Privatsphäre? Grundrechte? Nicht mehr nach der Ratifizierung.
Haben Sie doch bis hierher gelesen, dann tun Sie etwas. Dieser Text trägt kein Copyright. Teilen Sie ihn.
Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA), vereinfacht „Antipiraterieabkommen“, ist ein geplantes Handelsabkommen auf völkerrechtlicher Ebene, das dem Kampf gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen dienen soll. Federführende Staaten sind die USA, Japan, Großbritannien und Frankreich. Bis Ende 2010 soll das internationale Vertragswerk unterzeichnet und in Kraft gesetzt werden. Daten- und Konsumentenschützer fürchten weltweit einen massiven Eingriff in Privatsphäre und Grundrechte. Weiterlesen? Hier.