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Hooked On Fashion

17. September 2010: „Aus der Konklave des University College London steigt weißer Rauch auf“, vermeldet der Guardian, „The winners of the biggest Seedcamp European startup programme ever have been chosen.“ Darunter: Das österreichische Fashion-Start-Up Garmz. Ein Portrait. [Erschienen im WIENER 350 / Oktober 2010]

„Good night, fashion industry. Good morning, designers” ist eine ziemlich großkotzige Ansage, wenn man ein kleines Start-Up aus dem siebenten Wiener Gemeindebezirk ist und eben erst die Nähmaschine angeworfen hat. Aber wer, wie Garmz, ein Game Changer werden will, muss auch ein bisserl Wirbel machen. „Es geht letztlich um das Zusammenlegen zweier unterschiedlicher Industrien“, sagt Gründer Andreas Klinger im WIENER-Interview, „Wir versuchen mit dem Wissen aus der Web-Branche, Mode anders zu machen.“

Das Konzept in Kürze: User machen Mode – das bedeutet: Jeder, der mag, kann seinen Entwurf zeichnen – vom Schianzug bis zur Abendrobe – und mittels simplem „Upload“-Button online stellen. Auf die Qualität der Skizze kommt es dabei nicht an, wichtig ist, dass die Idee dahinter gut ist und rüberkommt. (Wer seinem Zeichentalent misstraut, greift am besten auf ein paar Hilfsmitteln zurück, die Garmz zur Verfügung stellt.) Steht das eigene Design erst einmal online, können andere Nutzer dafür voten, Mausklick genügt. Beliebte Designs wandern dadurch nach oben. Jene, mit den meisten Votes werden von Garmz, nach genauer Rücksprache mit dem jeweiligen Designer, produziert und wandern als Prototyp in den Webshop. Über ein Pre-Order-System wird hier das Kundeninteresse abgetestet, dann eine hochgerechnete Stückzahl produziert. Den Produktpreis bestimmt der Designer, innerhalb eines Rahmens, der die Produktionskosten berücksichtigt und Kunden nicht über Gebühr abzockt.

Die Idee dahinter: Eigene Mode beginnt meist mit dem Kauf einer Nähmaschine, auf der Jung-Designer ihre Produkte selber schneidern und an den Freundeskreis verkaufen. Das Problem liegt auf der Hand: Ist das Design erfolgreich, kommt man vor lauter Nähen nicht mehr dazu, sich um Marketing und Vertrieb zu kümmern. Schlimmer noch: Die Zeit für’s Designen geht flöten. Gleichzeitig ist es unmöglich, die Produktion auszulagern, da Manufakturen Aufträge erst ab einer Stückzahl annehmen, die kein Frischling je erreicht. Falls sich doch einmal jemand findet, der’s übernimmt, wird die Produktion dermaßen teuer, dass man die entstandenen Stücke nicht mehr zu markttauglichen Preisen anbieten kann, weswegen Mode jenseits der Einkaufsstraßen auch unerschwinglich ist. Klinger: „Die Konsumenten sind heutzutage massiv in Richtung Fast Fashion umerzogen. Was sie nicht wissen: Um den Preis, um den etwa H&M verkauft, kann in Österreich niemand die Materialien bekommen, geschweige denn produzieren.“

Wie also die Quadratur des Kreises erreichen? „Lagerfeld, Armani und Co. haben alle einen ökonomischen Partner, der sich um den ganzen Kram kümmert, damit sich der Designer auf die eigentliche Designarbeit konzentrieren kann. Wir wollen für die nachkommenden Talente so ein Partner sein und all diese, für einen Jungdesigner unlösbaren Probleme aus der Welt schaffen.“ Unter anderem dadurch, dass man die geringen Stückzahlen pro Design durch die Masse an Aufträgen kompensiert; somit für die Manufakturen doch wieder zu einem interessanten Player wird. Das hehre Ziel: Modetalenten eine Chance auf Karriere geben und gleichzeitig für die Endkunden ein verlässlicher Webshop sein.

Letzteres ist nämlich ein weiterer Casus Cnactus in Sachen Netzvertrieb: Klar kann ich originelle Self-Made-Mode auch auf Seiten wie Etsy kaufen. Aber wer garantiert Qualität, Kundenservice, Umtauschrecht? Da mag Miranda aus Berlin noch so nett und ihre selbstgemachte Gürtelschnalle aus Gummibärchen ein absolut cooles Einzelstück sein – aber darf ich sie zurückschicken, wenn sie nach zwei Tagen auseinander fällt? Gibt’s mein Geld retour? Solche Unsicherheiten, die mit E-Commerce Marke Eigenbau einhergehen, versucht Garmz schlicht durch Standardisierung auszuräumen. Viele Designer – ein Ansprechpartner. Punktum.

Bei all dem agiert das Start-Up möglichst international. Klotzen statt Kleckern lautet die Devise. Die Stoffe kommen aus Holland, die Prototypen aus Niederösterreich, die Serienproduktion erfolgt in Bulgarien. Investoren fanden sich, neben Österreich, auch in der Schweiz und in Russland. Das neunköpfige Team selbst ist eine österreichisch-bulgarisch-serbisch-ungarische Mischung. Die „Garmzer“ sprechen also zurecht von einer „echt pan-europäischen Initiative“.

Auch die Designs spiegeln den internationalen Ansatz: Parker-, Poncho- und Pulli-Skizzen werden inzwischen weltweit hochgeladen – von Gramatneusiedl bis Barain, von Finnland bis Kentucky. Darüber ist Klinger selbst erstaunt: „Ehrlich gesagt, hab ich keinen Schimmer, wieso das so abgehoben hat.“ Garmz ging Mitte Juni mit einer sehr rudimentären Version online, noch kaum was zu sehen. „Wir haben einen Upload aus Niederösterreich bekommen und uns gedacht: Super, damit ist bewiesen, dass es funktioniert. Und am nächsten Tag ging’s los mit Hongkong, Kanada, Indien. Innerhalb einer Woche hatten wir Skizzen aus allen Kontinenten. Es war wie in einem schlechten Internetfilm!“

Letztlich ist es auch die sprungartige Entwicklung partizipativer Plattformen die Garmz in die Hände spielt. Das ist Web-Profi Klinger klar: „Hätten wir vor vier Jahren gelauncht, hätten wir nie diese Reichweite erzielen können.“ Nischenideen haben heute bessere Möglichkeiten an ein Publikum zu kommen, durch Mundpropaganda-Kanäle wie Twitter und Facebook. „Genau!“, ergänzt „Garmzerin“ Maria Ratzinger: „Im Netz können auch kleine Designer ihre Portfolios zeigen. Man ist nicht abhängig von Magazinen wie Vogue, denen es letztlich nur um Anzeigenkunden geht. Individualisierungstendenzen, weg von diktierten Trends, haben Plattformen wie Garmz erst möglich gemacht!“

Maria ist prima inter pares in der österreichischen Fashion-Blogger-Szene. Seit kurzem verstärkt sie die Garmz-Mannschaft mit ihrer Expertise. Wo sie die Modewelt in – sagen wir mal – fünf Jahren sieht? „Da wird das Internet eine immer größere Rolle spielen! Bereits jetzt sind Textil und Schuh zum meist verkauften online Produkt avanciert; haben Bücher und DVDs überholt.“ Und das, obwohl die großen Anbieter kaum rasend originelle Services liefern. Fashion-E-Commerce ist gemeinhin ein Ableger gedruckter Bestell-Kataloge. Selten wird wahrgenommen, dass Internet mehr kann, als ein Buch online darstellen, denn wie jede große Industrie unterliegt auch die Modewelt einer gewissen Trägheit…

Das macht sie angreifbar durch disruptive Innovationen: Es kommen Leute, die im Netz beweglicher agieren. Klassisches Beispiel aus der Best-Practice-Schublade? Neuling Google gegen den rheumatischen Riesen Yahoo. Der Rest ist Web-Geschichte. Die „Garmzer“, so scheint es, haben in Geschichte gut aufgepasst. Good night, fashion industry. Good morning, designers.

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