Bloggen ist eine gefährliche Angelegenheit, denn zwischen Ruhm und Ruin liegt nur ein schmaler Grat. Höchste Zeit, das zu ändern. [Erschienen im WIENER 350 / Oktober 2010]
Ich habe vor kurzem eine Jacke bei Kleiderbauer gekauft. Das bereue ich inzwischen. Am liebsten würde ich sie zurückbringen. An der Jacke liegt es nicht, die ist unbestritten cool. Es liegt an Kleiderbauer. Kleiderbauer ist uncool. Puh, jetzt hab ich’s gesagt. Bleibt zu hoffen, dass sie mich aufgrund dieser Behauptung nicht auf’s Existenzminimum klagen. Anschließend dann noch den WIENER, der meine Meinung veröffentlicht hat – und Sie, werter Leser, sollten sich auch zwei Mal überlegen, ob sie jemandem von dieser Kolumne erzählen, weil am Ende erfüllt auch das den Tatbestand der üblen Nachrede und dann Gnade Ihnen Graf!
Na gut. Alle Polemik mal beiseite lassend, hier ein „Was bisher geschah“: Der österreichische Video-Blogger Jörg Wipplinger veröffentlicht auf seinem Blog ein Interview mit dem Anwalt eines jener militanten Tierschützer, die seit Frühjahr dieses Jahres wegen Sachbeschädigung und Gründung einer kriminellen Vereinigung (nach dem sogenannten „Mafia-Paragraphen“) vor Gericht stehen. In dem Video äußert der Interviewte Vorwürfe gegen die Geschäftsführer des Unternehmens Kleiderbauer, Werner und Peter Graf.
Stantepede verklagen diese – erraten – Jörg Wipplinger, weil er als „Medieninhaber“ das Interview veröffentlicht hat, auf eine Entschädigung von 50.000 Euro (Dritthaftung), was für Wipplinger den sicheren Privatkonkurs bedeutet. Das Kostenrisiko ist zu hoch; Wipplinger einigt sich auf einen Vergleich und sitzt nun auf 5000.- Euro Schulden. Plus Anwaltskosten. In einem Video gesteht er ein, dass er, Hobbyblogger wie die meisten, zwar eine Link-, aber keine Rechtsabteilung hat und folgert: „Wir brauchen möglichst bald eine rechtliche Regelung für all die Blogger da draußen, im Moment ist es zu einfach, uns mit Monstersummen aus dem Weg zu räumen. Wir brauchen Lösungen, die die Meinungsfreiheit schützen, die Rücksicht nehmen auf eine neue Kommunikationslandschaft, in der nicht jeder, der was zu sagen hat, auch eine juristische Kriegskasse hat.“
Natürlich ist es eine Grauzone. Natürlich muss es Schutz gegen Rufschädigung geben. Aber ebenso natürlich braucht es Hausverstand und Augenmaß im Umgang mit der Blogosphäre. „Fair Use“, wenn Sie so wollen. Wenn aber die Betroffenen zu blöd und zu unreif dafür sind, liegt’s am Gesetzgeber, klare Richtlinien zu schaffen. Denn die Abmahnungs- und Klagewelle rollt ungebremst. Jörg Wipplinger ist bloß eines ihrer Opfer. Was haben u.a. Jack Wolfskin, Jako, Grander Wasser, Kleiderbauer und die Diözese Regensburg gemeinsam? Einen erwiesenen Mangel an eben jenem Hausverstand und Augenmaß. „SLAPP“ heißt das übrigens: „strategic lawsuit against public participation“, eine bewusste Strategie, um Kritiker einzuschüchtern und mundtot zu machen, indem man sie mit Prozesskosten niederknüppelt.
In manchen Ländern gibt es bereits Gesetze dagegen. Hierzulande strafen sich die SLAPPer selber: Das Geld, das sie sich erstreiten, können sie gleich wieder in die Krisen-PR investieren, denn Blogger verklagen ist Gift für das Image. Googlen Sie einmal den „Streisand Effekt“…
Das bisschen Revanchismus hilft Jörg Wipplinger jetzt allerdings auch nicht. Solange es keine vernünftige Regelung gibt, bleibt Bloggen ein gefährlicher und teurer Spaß. Oder, um es mit dem deutschen Grimmepreis-Träger Stefan Niggemeier zu sagen: „Ich warte auf den Tag, an dem mich jemand verklagt, weil ich ihn klagefreudig genannt habe.“
Ja eben auch eine Form der Arbeitsplatzbeschaffung…
Besonders in den letzten Monaten erinnere ich mich immer an die Schlußszene im Film „Yello Submarine“ -Der Elephant saugt sich sebst weg
cordiale saluti!