Feed on
Posts
Comments

Wettervorhersage

Vergessen Sie online! Gehen Sie lieber ins Freibad, denn die Hitze stärkt den Troll in uns. Shitstorm inklusive. [Erschienen im WIENER 347 / Juli 2010]

Ich sag’s gleich: ich war noch nie in einem Shitstorm. Weder gebend, noch nehmend. Ich bin ja auch ein emotionales Vaserl, harmoniebedürftig bis zum Gehtnichtmehr. (Doch lassen wir jetzt mal die berechtigte Frage „Was machst du dann eigentlich im Web?“ beiseite.)

Ein Shitstorm liegt dann vor, wenn, um mit Sascha Lobo zu sprechen, „in kurzem Zeitraum eine subjektiv große Anzahl von kritischen Äußerungen getätigt wird, von denen sich zumindest ein Teil vom ursprünglichen Thema ablöst und stattdessen aggressiv, beleidigend, bedrohend oder anders attackierend geführt wird.“ Also: „Censilia ist eine blöde Funsn mit schmutzigen Fingernägeln“ statt der sachlich vielleicht berechtigteren Kritik, dass EU-Innenkommissarin Malmström uninformierte Entscheidungen in puncto Netzpolitik trifft. Aber um Kritik geht’s ja auch gar nicht. Kritik ist eine Kulturtechnik. Sie muss erlernt und perfektioniert werden. Shitstorming – das kann echt jeder.

Ein Shitstorm, das ist, was über mich hereinbricht, wenn ich meinen Kindern Tiefkühl-Spinat vorsetze. Das ist reflexartiges „Igittigittigitt“ und „Wäh, grauslich“ statt durchdachter Argumentation à la „Es gibt Studien, die belegen, das in 75% aller Fälle die Kühlkette beim Transport unterbrochen wird. Gerade bei Spinat, liebe Mama, kann das zu Problemen mit Nitrit führen, ein Gesundheitsrisiko für Kleinkinder wie uns.“ – Sie sehen: Kritik geht mit drei eben noch nicht. Shitstorming dafür locker. Und jetzt auch noch mit Internet!

Das Internet hat so seine inhärenten Mechanismen. Einer davon wurde recht deutlich in der „Greater Internet Fuckwad Theory“ konstituiert: Dass nämlich selbst die harmlosesten Seelen eine negativen Persönlichkeitswandlung erfahren, wenn man ihnen bloß Anonymität und ein Publikum schenkt. Anders gesagt: Wer auch immer das Internet nützt, wird zum Arschloch. Ein bisserl Arschloch oder, um im Netzjargon zu bleiben, ein kleiner Troll steckt wohl in jedem von uns, psychohygienisch wertvoll und entscheidend für jede Managerkarriere. Aber erst in unserer Konfrontation mit einem Shitstorm zeigt sich, ob wir es verstehen, mit diesen unzureichend integrierten Persönlichkeitsaspekten umzugehen. Denn worum geht es, wenn solch seismische Empörungswellen durchs Netz schwappen? Mitnichten um Inhalte. Es geht um Will-auch-dabei-sein, Mag-zur-Incrowd-gehören, Kenne-die-Hintergründe-nicht-finde-es-aber-sicherheitshalber-doof.

Es geht darum, so Shitstorm-Experte Lobo, dass eine kritische Menge einer Teilöffentlichkeit (also z.B. ausreichend viele Twitteranten), mit den richtigen Schlagwörtern getriggert werden. Mit „Musikindustrie“ etwa. Oder „Censilia“. Oder „Meerschweinchen“.

Dann geht er los, der Scheißesturm im Wasserglas. Jeder hat was zu senfen, jeder ist selbstverständlich total dagegen – und je höher der innere Trollanteil, desto unreflektiert-ausfälliger. Nein, das ist keine Kritik an der Musikindustrie. Das fungiert vielmehr als Antikritik, weil es eigentlich notwendige Kritik diskreditiert, weil es von Missständen ablenkt statt sie aufzuzeigen. Ist doch so: Der Shitstorm lenkt die Aufmerksamkeit einzig und allein auf sich selber, nicht auf seinen Auslöser.

Nun wollen Sie eine Conclusio hören? Gibt keine. Gehen Sie ins Gänsehäufel bis sich die binäre Schlechtwetterfront verzogen hat. Ist ja Sommer.

DISCLAIMER: Ja, ich habe Sascha Lobos Vortrag (hier!) gehört. Wenn Sie meinen, ich hätte ihn hier gnadenlos (auch ungekennzeichnet) zitiert, könnten Sie recht haben. Nachzuprüfen unter obigem Link.

Leave a Reply

Transparenzgesetz.at Info-Logo