Per Twitter machte Drew Olanoff seine Krebserkrankung zum Sündenbock für alles und jeden. Jetzt ist er wieder gesund – Dank Chemo und Social Media. Und wir feiern Weihnachten 2.0 [Erschienen – nicht wörtlich, aber fast – im WIENER 341/Dez. 2009]
Für die aktuelle Print-Ausgabe des WIENER wollte ich eigentlich etwas über Meme schreiben. Ist ja auch nicht ganz unweihnachtlich, wo doch beispielsweise Andreas Klinger gerade erst meinte, Last Christmas wäre das Rickrolling des gemeinen Bürgers.
Hat was.
Letztlich ist es dann aber anders gekommen: Vor ein paar Wochen ist ein Weihnachtswunder geschehen. Zugegebener Maßen frühzeitig, aber deshalb nicht minder großartig. Und ehrlich, was kann einer Kolumnistin um diese Jahreszeit besseres passieren als ein Weihnachtswunder? Eben. Die Meme müssen warten.
Es ist nämlich so, dass Drew Olanoff gesund ist. Das Geschwür in seinem Nacken hat sich aufgelöst. Das Geschwür in seinem Brustkorb und das in seinem Bauch ebenfalls. Neun mal Chemo und der Kampf war gewonnen.
Aber es war nicht allein die Chemie, die den Kampf gewonnen hat. Es war Drew. Es war Social Media. „My cancer is social“ hatte Drew von Anfang an gesagt und er hat vorgelebt, wie’s geht.
Als Drew vor einigen Monaten mit Hodgkin-Lymphom diagnostiziert wurde, war er verdammt sauer. Irgendjemand musste doch schuld an dieser ganzen, pardon my French, Scheiße sein! Es musste doch jemanden geben, dem man das alles in die Schuhe schieben konnte: die Angst, die Übelkeit, die Schweißausbrüche, den pinkfarbenen Urin.
Drew beschloss das Naheliegendste: Er gab seinem Krebs die Schuld. Und zwar jegliche. Autoschlüssel verloren? „I blame Drew’s Cancer!“ Zu spät im Büro? „I Blame Drew’s Cancer!“ James Blunt hat eine neue Single? Ratet mal, wer daran schuld ist…
Das funktionierte, denn es machte Drews Leben leichter. Tiefschwarzer Humor, sicherlich. Aber besser als dumpfes Brüten und nach Innen gerichtete Verzweiflung. Drew twitterte seine Schuldzuweisungen, er aggregierte sie als Stream auf seiner Website, er gründete eine Facebookgruppe. Und er bot seinen neugefundenen Sündenbock der ganzen Welt an: Was immer euch quält, Folks, lastet es meinem Krebs an!
Ein Hashtag ging um die Welt: #BlameDrewsCancer. Bis zum jetzigen Zeitpunkt haben 14077 Menschen ihre Alltagswehwehchen mit diesem Hashtag gekennzeichnet und an Drews Krebs kollektiv Dampf abgelassen. Vom verschütteten Beaujolais bis zum Krach mit der Freundin.
Und Drew war nicht untätig, er hat sich auf Sponsorsuche gemacht: Für jeden geposteten #BlameDrewsCancer-Tweet wird demnächst eine Spende an „Livestrong“ gehen, die Lance Armstrong Foundation zur Unterstützung von Krebskranken.
Dazu kommt der Verkauf von #BlameDrewsCancer T-Shirts, ein Spendenmarathon („Blame-A-Thon“) in Philadelphia und und und.
Drews Erfindungsgeist und Tatendrang, was das Auftreiben neuer Spendengelder anbelangt, war und ist schier unbegrenzt. Dazwischen hatte er Sinnkrisen, Schwindelanfälle, Taubheit in den Gliedmaßen. Er kotzte sich die Seele aus dem Leib, nicht nur buchstäblich, sondern auch in je 140 Buchstaben, denn er twitterte darüber. Krankheit im Scheinwerferlicht. Privat war gestern.
Schlägt mir da Empörung der Generation Armin Thurnher entgegen? Dann seid gemittelfingert. Ich war nämlich unlängst Gast in einer Brustkrebs-Selbsthilfegruppe. Dort lautete der Tenor: Das Furchtbarste ist die Geheimniskrämerei. Dass man sich nicht traut, es jemandem zu sagen. Dass man niemanden belasten will.
Nun, Drew hat das Gegenteil bewiesen. Man kann darüber reden. Das Wort „sozial“ steckt nicht zu Unrecht in Social Media, denn ohne seinen Sozius ist der Mensch ein armer Hund. Ich – und Tausende Twitteruser – waren in den letzten Monaten Drews Soziae. Eine von uns hat er inzwischen geheiratet.
Wir anderen haben mit ihm geweint, haben Schuld zugewiesen, Geld gespendet, und auch ziemlich viel gelacht. Und es ist typisch Drew, dass er nicht aufhört zu kämpfen, bloß weil sein eigener Kampf gewonnen ist.
Das Duell Twitter vs. Krebs geht gerade erst in die zweite Runde.
Join the fight at http://www.facebook.com/BlameDrewsCancer!
Ach ja, das mit den Memen gibts dann eben im nächsten Heft.
EDIT:
Ja, das schlimmste ist überstanden, aber Drews letzter ärtzlicher Check-Up macht ihm ein bißchen Sorgen… Wir drücken ihm die Daumen!