Bloggen? Das war einmal. Selbst die Oberposter nehmen Abschied. Weil’s etwas Neues gibt. Alles fließt, alles wird eins: Videos und Musik, Texte und Fotos. Willkommen im Lifestream. [Erschienen im WIENER Ausgabe 339 / Oktober 2009]
Wahrscheinlich haben Sie gerade angefangen zu bloggen. Oder Sie spielen mit dem Gedanken, das demnächst einmal zu tun. Sagen ja alle, dass man’s braucht. Tja. Ich weiß jetzt nicht, wie ich Ihnen das schonend beibringen soll. Aber bloggen ist ja so was von out. Streaming is the new black. Top-Blogger Steve Rubel hat’s vorgemacht, hat sein A-List-Blog einfach zugesperrt und ist mit all seinen Gedankenfetzen in den Lifestream übersiedelt. Da standen die verwaisten Leser plötzlich vor dem abgerissenen Bloghaus und mussten sich erst einmal neu orientieren…
Ein Lifestream, Workstream, Activitystream – was ist das? Kurz: Ein Ort, an dem Inhalte verschiedener Quellen aggregiert werden. Meine Videos (youtube), Musik (blip.fm), Texte (blogger), Fotos (flickr), Vorlieben (digg, del.icio.us) und Social Web Aktivitäten (Twitter, Facebook) werden gesammelt und fließen in eine zentrale Seite. Das ist gleichermaßen assoziativ wie repräsentativ. Es gibt mir, wie ein Blog, die Möglichkeit meine Gedanken zu formulieren, und schafft gleichzeitig jenes G’spür für Ambiente, das Onlinekommunikation ausmacht. „Go with the Flow“ ist das Motto des sich stetig neu erfindenden Netzes. Nun, der Flow ist ein Stream.
Einmal ehrlich: Wer hat denn noch Zeit, sich hinzusetzen und an einem Blogpost zu feilen? Twitter ist unter anderem deshalb so erfolgreich, weil es das erkannt hat und von vornherein gar nicht mehr als 140 Zeichen pro (Micro-)Blogeintrag zulässt. Kommunikation wird mobiler. Kommunikation wird schneller. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich Blogs dieser Entwicklung anpassen würden. Mit 140 Zeichen kann ich keinen Gobelin weben. Aber einen Fleckerlteppich schon. Und dieser spiegelt mich online vermutlich authentischer wieder, als es der Gobelin je könnte. In diesem Sinne verteidigt auch Rubel seine Übersiedelung: DaVincis Noitzbücher, schreibt er, waren nicht die Mona Lisa. Vieles darin sind unfertige Skizzen, unzusammenhängende Worte. Wo einzelne Einträge wertlos scheinen, ergibt die Gesamtheit jedoch ein beachtliches Bild des Künstlers. Eines, das uns mehr erzählt als die stumme Frau im Louvre.
Heutige Blogtechnologien werden immer besser (WordPress bietet z.B. einige Lifestream-artige Plugins), die Konzepte dahinter basieren aber doch auf den Vorstellungen des Web 1.0. Auf Präsentieren, Darstellen, Dozieren. Konversation ist ein Bestandteil, jedoch nicht der zentrale. Sicher, Blogs waren revolutionär in ihrer Entstehungszeit. Sie haben den Weg geebnet für eine andere Art der Gesprächskultur. Aber die Revolution frisst bekanntlich ihre Kinder; die Gesprächskultur will nicht mehr Nebenaspekt sein. Tatsächlich ist das neue Lieblingsspielzeug Lifestream auch nicht viel anders, was Kommentareinbettung anbelangt. Es fühlt sich aber anders an – durch den Echtzeit-Effekt und die Einbindung in Social Media.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Blogs haben ihre Qualitäten. Würde die „Huffington Post“ auf Lifestream umstellen, ich würde es sehr bedauern. Und wer ein Firmenblog hat, sollte sich das auch gründlich überlegen. Was aber uns kleine oder größere Privatblogger anbelangt: Leute, Streamen kann was! Bastler mit eigener Domain können sich ihre Lifestreams selber zimmern und individuell gestalten, z.B. mittels Sweetcron (www.sweetcron.com). Geht aber auch einfacher. Mit Workstreamr, tumblr, ozimodo etc. stehen genug Alternativen zur Verfügung, gänzlich bastelfrei. Suchen Sie sich einfach irgendeine aus. Google hilft. Steve Rubel zum Beispiel verwendet Posterous. Das ist beliebt und hat das qick’n dirty-Prinzip perfektioniert. Aber der Schwerpunkt ist ein anderer, Webinhalte werden hier (noch?) nicht von überall importiert.
Ach ja: Wenn Sie heimische Start-Ups unterstützen wollen, nehmen Sie Soup (www.soup.io). Die haben ihren Firmensitz im 5. Bezirk in Wien und sind All-around-nice-guys. Zudem ist das Tool schwer in Ordnung. Anschauen, ausprobieren, Spaß haben.