Bakkalaureatsarbeit, 2009 / Abstract
Der oft beschworene Gegensatz zwischen „old“ und „new media“, zwischen Produkt- und Prozessjournalismus, beruht zu großen Teilen auf unterschiedlichen Mechanismen der Informationsproduktion und -distribution. In Anlehnung an Vilém Flusser lässt sich zwischen dialogischen und diskursiven Medien unterscheiden. Während in dialogischen Medien Information durch Austausch und Synthese geschaffen wird, kommt diskursiven Medien die Aufgabe zu, die vorhandene Information zu verteilen. Dabei kommt es zu einer Wechselwirkung: Im Dialog wird jene Information erschaffen, die im Diskurs verteilt wird und deren Verteilung (= Mehrung) wiederum die Basis für Folgedialoge schafft. Überträgt man dieses Unterscheidungsmerkmal auf den Gegensatz zwischen „old“ und „new media“, so lässt sich den klassischen Massenmedien die diskursive Rolle, den computerbasierten „Sozialen Medien“ die dialogische Rolle zuordnen. Eine diskursive oder dialogische Mediennutzung ist jedoch nicht prinzipiell an spezielle Medien gebunden. Sie ist gesellschaftlich bedingt und zeigt sich in Kulturen des Gebrauchs. Information wird im Dialog (und hier vor allem in der von Flusser beschriebenen egalitären Form des „Netzdialoges“) durch folgende Prozesse aggregiert: Veröffentlichung von Privatem (publizieren), Festsetzen eines Wertes der Information (durch Vergleich und Tausch) und Informieren der Öffentlichkeit. Als klassisches Medium des Netzdialoges gilt der griechische Marktplatz, die Agora. Hier wurden einerseits Informationen innerhalb der Dorfbevölkerung getauscht, andererseits war der Platz offen für Meldungen und Waren, die von außerhalb ins Dorf getragen wurden. In der aktuellen Medienlandschaft kommt dem Microblogging-Dienst Twitter eine ähnliche Funktion zu. Hier trifft (computerbasierte) Gruppenkommunikation zwischen den „Dorfbewohnern“ (sprich: einer Gemeinde an Followern) auf Massenkommunikation, da der Informationsaustausch innerhalb der Gruppe zugleich an ein Massenpublikum übertragen wird, das auch ganz den Anforderungen entspricht, die Maletzke an ein solches stellt: unbegrenzt, öffentlich, dispers. Der markante Unterschied zu klassischen Formen der Massenkommunikation besteht jedoch darin, dass die ebenfalls von Maletzke postulierte Einseitigkeit jederzeit aufgehoben werden kann. In dem computerbasierten Netzdialog der Twittersphäre kann prinzipiell jeder Teilnehmer zum Kommunikator und zum Anbieter von (Informations-)Content werden. Ob diese publizistische Aufwertung des Publikums als Bedrohung für das etablierte System des Journalismus empfunden wird, obliegt dem Rollenverständnis des jeweiligen Journalisten und seiner Bereitschaft, sich – wenn man so will – auf „die Regeln“ des Web 2.0 einzulassen: auf Transparenz, Offenheit, Geschwindigkeit und Integration eines Publikums, das sich auf Augenhöhe befindet. Kurz: „Die Idee der gemeinsamen Maximierung kollektiver Intelligenz und der Bereitstellung von Nutzwerten für jeden Teilnehmer durch formalisierte und dynamische Informationsteilung und -herstellung.“ Am Beispiel Twitter lassen sich Möglichkeiten aufzeigen, die bereits von Journalisten genutzt werden, um für sich und die Rezipienten ebensolche Nutzwerte zu generieren. Ziel dabei ist die Integration von Journalismus und Social Media zu einer neuen kollaborativen Form des „Social Journalism“. Dabei kommen Twitter unterschiedliche Rollen zu: Nachrichtenagentur, Recherchetool, Ideenpool, Media Watchdog, Agenda Setting etc. Darüber hinaus lässt sich mittels Twitter ein neues Level an Medienbindung erreichen (Stichwort: Unmittelbarkeit und Intimität). Auch bietet Twitter Medien und Journalisten Möglichkeiten für PR und Selbstpräsentation, und hilft Sommerlöcher durch User Generated Content zu füllen. Aber klassischer Journalismus verschwindet nicht durch die neue Fülle an UGC und „Bürgerjournalismus“. Journalisten bringen – wenn sie das in sie gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen vermögen – dem Publikum einen Mehrwert: als Gatekeeper, durch Quellenkritik, durch seriöse Recherche uvm. Sie erfüllen eine notwendige Funktion für die Gesellschaft. Diese Notwendigkeit bleibt bestehen – auch wenn sich die Infrastrukturen rund um den Journalismus drastisch ändern. Es stellt sich also weniger die Frage, ob der Journalismus stirbt, sondern – wie Picard schreibt – welche Formen er in Zukunft annehmen wird, um seine Funktion in einer veränderten Welt wahrzunehmen.
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